Verborgene Schätze, zwei auffällige Holzschränke aus der Gründerzeit, wurden vor mehreren Jahren von Prof. Dr. H. W. Lack, Direktor an der ZE Botanischer Garten und Botanisches Museum Berlin Dahlem, auf dem Dachboden des Botanischen Museums entdeckt. Ältere Kollegen des Hauses wußten, daß es sich um das Geschenk eines Kapitäns zur See handelte, eine Institutionschronik nennt als Erwerbungszeitpunkt das Jahr 1911 und als Herkunft den Nachlaß eines nicht näher bekannten Marineoberstabsarztes Paul Kuegler. Die in Europa angefertigten, in ihren Maßen identischen Möbelstücke enthielten eine ganz besondere Kostbarkeit und wurden speziell für diesen Zweck hergestellt: Sorgfältig gearbeitete, bemalte und beschriftete Holzbretter befinden sich in jeweils 18 Schubfächern, wobei genau vier Stück in jede der flachen Laden passen. Der rote Siegelabdruck auf der unbemalten Rückseite der insgesamt 144 Bretter ließ sofort erkennen, daß hier eine ostasiatische Arbeit vorlag. Eine genaue Untersuchung durch Prof. Dr. W. Veit, Direktor des Museums für ostasiatische Kunst in Berlin, ergab, daß das Siegel die Jahreszahl `11 Meiji ´ (1878) enthielt und aus Japan stammen mußte.
Weitere Aufschlüsse brachte ein Besuch von Prof. Dr. H. Ohaba, Universität Tokyo, im Jahre 1994. Er erkannte das Siegel als das Zeichen von Chikusai Kato, dem ersten Pflanzenillustrator am botanischen Garten Tokyo, und unter den wenigen nicht gedruckten Etiketten die Handschrift von Keiske Ito (1803-1901), dem ersten Direktor des botanischen Gartens der Universität Tokyo. Keiske Ito war nicht nur einer der profiliertesten japanischen Botaniker seiner Zeit sondern auch Schüler des Universalgelehrten Philip F. von Siebold (1796-1866), der während seines ersten Aufenthaltes in Japan einen Vorläufer der Berliner Xylothek erworben hatte, der heute in Leiden aufbewahrt wird. Durch die Einführung einer bis dahin in Japan unbekannten Augenoperation ungemein populär, war Siebolds vielfältiges Wirken im Land der aufgehenden Sonne ein früher Beitrag zu jener Öffnung zum Westen gewesen, die Jahrzehnte später als Meiji-Reform in die Geschichte eingehen sollte. Kaiser Mutsuhito (1852-1912), der im Alter von knapp 16 Jahren den Thron des Tenno bestiegen hatte, gab wenige Tage nach Herrschaftsantritt die Devise `Meiji´ aus, d.h. `Erleuchtete Regierung´. In der Tat verwandelte sich das von Feudalstrukturen geprägte Kaiserreich rasch in einen Staat moderner Prägung mit neuen Rechtsgrundlagen. Unter anderem wurde ein zeitgemäßes Verkehrsnetz aufgebaut, die allgemeine Schulpflicht und der westliche Kalender eingeführt. Diese Öffnung des bis dahin fast hermetisch abgeschlossenen Kaiserreichs begann mit einem symbolischen Akt: die Residenz des Tenno wurde von Kyoto nach Edo verlegt, das man in Tokyo (`östliche Hauptstadt´) umbenannte. Hier entstand nach westlichem Vorbild bereits im Jahre 1877 die erste japanische Universität, und im selben Jahre als Teil dieser neuen Einrichtung der erste botanische Garten in Japan.
Die einzelnen Holzbrettchen der Sammlung im Botanischen Museum Berlin-Dahlem bestehen jeweils aus mindestens neun Teilen, die miteinander verleimt und mit Nägeln fest verbunden sind. Für jede derartige Platte wurde Material einer bestimmten Gehölzart verwendet. Der entsprechende wissenschaftliche Name ist meist auf der Vorderseite angegeben, gefolgt vom japanischen Namen in Kanji - und in Katakana - Zeichen die typisch für die Meiji-Zeit und von links nach rechts zu lesen sind. Auffällig ist die sehr sorgfältige Gestaltung der einzelnen Objekte: auf das stets rechteckig zugeschnittene, fein gehobelte Brett sind an den Ecken vier zylinderförmige Astscheiben montiert und entlang der Kanten der Brettoberseite rechteckig zugeschnittene Rindenstücke mit den darunterliegenden Schichten. Von 135 verschiedenen Pflanzenarten sind so Holz in Längs- und Querschnitt, sowie Rinde auf einen Blick zu sehen. Noch bemerkenswerter ist allerdings die Bemalung der Bretter: in Temperafarben sind Zweige, Blätter, Blüten, Früchte und Samen dargestellt, so wie dies in der botanischen Illustration des Westens in dieser Zeit üblich war. Die abgebildeten Pflanzen erwiesen sich als in Japan heimisch oder dort bereits im 19. Jahrhundert kultiviert. Damit besitzt das Botanische Museum Berlin-Dahlem ein bisher fast
unbekanntes Spitzenobjekt aus der Gründungszeit der Universität
Tokyo, wie es in ähnlicher Form in Japan nicht bekannt ist.
Gleichzeitig stellt es aber ein beeindruckendes Dokument der europäisch-japanischen
Beziehungen im 19. Jahrhundert dar. |