Das 19. Jahrhundert war das Jahrhundert des begeisterten Erwerbs und Austausches von Pflanzen fremder Länder. Die Einfuhr lebender Pflanzen aus Übersee erforderte lange Seereisen und war mit hohen Verlusten verbunden. Auch nach Europa gelangten immer mehr exotische Arten, häufig zuerst nach England, und die Sammlungen wurden immer reichhaltiger. Wesentlich trug dazu auch die Weiterentwicklung der Gewächshäuser (z.B. bessere Beheizbarkeit, lichtdurchlässige Glaskonstruktionen), die Gründung und zunehmende Popularität von Garten-Zeitschriften und nicht zuletzt die Erfindung der Wardschen Kisten bei.
Die Wardsche Kiste wurde von Dr. Nathaniel Bagshaw Ward, einem im Londoner Dock-Viertel in East-End praktiziereden Arzt, auf Grund einer zufälligen Beobachtung entworfen. Er war ein leidenschaftlicher Naturforscher und züchtete in seiner Freizeit eifrig Farne. Er legte einen Steingarten an und stellte fest, daß dort seine Farne einfach nicht gedeihen wollten.
Ward interessierte sich außerdem für Nachtfalter und Schmetterlinge sowie ihre Entwicklung und Metamorphosen. Um diese zu studieren, legte er im Sommer 1829 eine Schwärmer-Puppe in feuchten Humus in eine weithalsige Glasflasche, die er mit einem Deckel verschloß. Er beobachtete, daß die während der Tageshitze freigesetzte Feuchtigkeit auf der Glasfläche kondensierte und von dort wieder in die Erde ablief. Durch diesen Kreislauf blieb die Erde ständig feucht. Bevor jedoch das Endstadium der Metamorphose erreicht war, erschienen auf der Humusoberfläche ein winziger Farn und ein Gras. Ward war verblüfft. Farne, die in seinem Garten nicht gedeihen wollten, wuchsen hier plötzlich ganz von allein. Vier Jahre lang beobachtete er die prächtige Weiterentwicklung des Farns, der jedes Jahr drei bis vier neue Wedel hervorbrachte.
Ward, ein Mann der Praxis, setzte seine Beobachtung gleich nutzbringend für die Anzucht und den Transport tropischer Pflanzen ein. Er entwarf kleine Anzuchthäuser mit niedriger Mauer, schrägem Glasdach und einem unter dem Dach verlaufenden perforierten Rohr zur Bewässerung.
Von weitaus größerer Bedeutung war jedoch die Entwicklung und Erprobung der Wardschen Kiste, ursprünglich ein Container mit Holzwänden und einem gläsernen Spanndach. Ward schickte im Juli 1833 zwei dieser Kisten, die eine gefüllt mit Farnen, die andere mit Gräsern, nach Sydney (Australien). Die Pflanzen erreichten ihr Ziel wohlbehalten. Die Kisten wurden dort nun mit australischen Pflanzen bestückt, darunter wiederum ein Farn, Geichenia microphylla (dieser hatte Europa zuvor niemals lebend erreicht). Die neue Ladung wurde im Februar 1835 auf den Weg nach England geschickt und traf 8 Monate später, nach der Umsegelung von Kap Horn und der Überquerung des Äquators, Temperaturextremen zwischen -6°C und +48°C ausgesetzt, unbewässert, aber in gutem Zustand ein. .
Diese
Art des Pflanzen-Transportes über große Distanzen, entweder auf dem
Seeweg oder aber auch über Land, gewann damals große Bedeutung.
Vorher starben die meisten Pflanzen unterwegs aufgrund der
Temperaturunterschiede und starken Feuchtigkeitsschwankungen. Frisches Wasser
war Mangelware und die für die Bewässerung bezahlten Schiffsjungen
verwendeten oft Meerwasser, um die wertvollen Süßwasservorräte
nicht zu "verschwenden". Nun aber wurde das Versenden von Zier- und
Nutzpflanzen in Wardschen Kisten eine Standardmethode, die nahezu ein
Jahrhundert lang eingesetzt wurde. Die bekannte englische Gartenbaufirma
Loddiges verwendete 1842 z.B. 500 Wardsche Kisten und konnte dadurch die Überlebensrate
der wertvollen Pflanzen von 5 % auf 95 % erhöhen. Die Wardschen Kisten
hatten unterschiedlichste Größen, waren in der Regel luftdicht
verschlossen, mit teilweise oder vollständig abnehmbarem Glasdach zum Be-
und Entladen versehen und enthielten Haltevorrichtungen für die
verschiedensten Pflanzen, die anpaßbar waren. Mit ihnen wurden chinesische
Bananen nach Fidji- und den Samoa-Inseln überführt, 20000 Teepflanzen
gelangten von Schanghai ins indische Himalayagebiet und Parakautschukpflanzen
reisten von Brasilien über Kew (London) und Ceylon nach Malaya.
Auch die
Wardschen Kisten erlebten Metamorphosen. Aufgrund der konstanten
Luftfeuchtigkeit in ihrem Innern waren sie ausgezeichnete Schaugefäße,
in denen empfindliche und tropische Gewächse, sehr häufig Farne, ohne
aufwendige Pflege gehalten und ausgestellt werden konnten. Sie schmückten
viele Viktorianische Ankleideräume, Flure und Wohnzimmer und waren, wie die
Abbildungen zeigen, häufig reich verziert. Ein Heer von Kunstschmieden,
Tischlern, Glasern und anderen Handwerkern war mit ihrer Anfertigung beschäftigt.
Farnvitrinen enthielten bisweilen sogar Ampeln, Bogengänge und
Springbrunnen in Kleinstformat. Andere wiederum waren teilweise mit Wasser,
Wasserpflanzen und Fischen gefüllt, und die in ihnen auftretende extrem
hohe Luftfeuchtigkeit ermöglichte sogar das Wachstum der besonders
empfindlichen Hautfarne (Hymenophyllum und Trichomanes). Es war die große
Zeit der "Zimmergärtnerei". Heute findet man, obschon recht
selten, statt reich verzierter viktorianischer Farnkisten Flaschengärten
und aquarium-ähnliche Pflanzenvitrinen mit Miniaturgärten. Das
wichtigste bei diesem Hobby ist die richtige Wahl der Pflanzenarten. Man wähle
solche, die nicht zu groß werden und die hinsichtlich ihrer Lebensbedürfnisse
zusammenpassen. Besonders geeignete Farne sind kleinere Arten z.B. der Gattungen
Adiantum (Frauenhaarfarn), Anemia und Pellaea. Auch
Moos- und Hautfarne, sonst oft schwierig zu kultivieren, lassen sich so
erfolgreich halten.
[Text: Dr. Brigitte Zimmer, (Abbildungen: verändert nach Perl, P. 1980, Farne)]
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