Die Tier- und Pflanzenwelt auf unserem Planeten ist mannigfaltig und reich an Formen. Sie ist kein Kontinuum und kann in abgrenzbaren Einheiten betrachtet werden. Die Grenzen zwischen den verwandtschaftlichen Gruppen kommen durch Diskontinuitäten zustande. Dies erleichtert die Orientierung in der fast unüberschaubaren Mannigfaltigkeit des Tier- und Pflanzenreichs. Wie kann diese Vielfalt sinnvoll geordnet und wie können Pflanzen verbindlich benannt werden? Seit der Antike waren Forscher bemüht die Pflanzenwelt zu ordnen. Sie erkannten bald, daß eine hirarchische Gliederung den Gegebenheiten am nächsten kommt. So kann eine kleinere Einheit in einer größeren zusammengefasst werden. Die wichtigste kleinste Einheit ist die Art, von der bei jeder Benennung ausgegangen wird. Der schwedische Naturforscher Linné (1707-1778) hat die bis heute gültige Grundlage der Pflanzenbenennung eingeführt - die binäre Nomenklatur. Die Nomenklaturregeln sind im "internationalen Code der botanischen Nomenklatur" genau festgehalten. Sie sind verbindlich für die Beschreibung und Benennung von Pflanzen. Die wissenschaftliche Benennung der Pflanzen ist Voraussetzung für die Verständigung innerhalb der Botanik und hat erhebliche Bedeutung z.B. auch bei Pflanzenschutz- und Rauschgiftgesetzen. Sie ist nicht nur ein Verständigungsmittel im Sinne einer Katalogisierung, sie trifft auch eine Aussage über die Stellung einer Pflanze im Pflanzensystem. Daher muß der Name einer Pflanze geändert werden, sobald sich die Auffassung über die Verwandtschaftsverhältnisse dieser Pflanze ändern. So kann eine Pflanzenart im Laufe der Zeit mehrere Namen erhalten, von denen einer der korrekte Name ist, die anderen sind sogenannte Synonyme.
Wird eine noch unbekannte Pflanze gefunden, muß diese bestimmt, d.h. mit den bisher bekannten Pflanzen verglichen werden; ist sie verschieden davon, wird sie benannt und beschrieben. Voraussetzung dafür ist das Sammeln repräsentativen Materials und das Beobachten der Variationsbreite einer Pflanzenart, der Gegebenheiten des Standortes und der Verbreitung der Population. Während des Sammelns werden vom Botaniker oft Zeichnungen der Pflanze und erste Notizen zur Beschreibung angefertigt. Der Erstbeschreiber einer Pflanze beschreibt die Pflanzenart anhand der vorliegenden Herbarbelege, die eine getrocknete Pflanze oder zumindest Teile davon zeigen. Einer dieser Belege wird von ihm zum Typusexemplar erklärt und besonders gekennzeichnet. Ein Typusbeleg besitzt herausragende Bedeutung, weil er das unersetzliche Beweisstück für den Pflanzennamen und die Basis der Kommunikation ist. Der vergebene wissenschaftliche Name ist mit diesem Typus untrennbar verbunden und läßt sich nur nach dessen Studium zweifelsfrei interpretieren. Der wissenschaftliche Name einer neu entdeckten Pflanze ist jedoch erst verfügbar, wenn er zusammen mit der lateinischen Beschreibung der Pflanze in einer Fachzeitschrift (z.B. `Willdenowia´) veröffentlicht wurde. Gelagert und verwaltet werden diese Typen in aller Regel in wissenschaftlichen Sammlungen öffentlicher Iinstitutionen. In Deutschland enthält keine Institution soviele Typen wie das Botanische Museum Berlin-Dahlem. Hier existieren 100 000-200 000 Typusexemplare aus allen Pflanzengruppen, allen Kontinenten und aus über zwei Jahhrhunderten. Aus Sicherheitsgründen werden oft Doppelstücke, sgn. Isotypen, weltweit verteilt und auch davon beherbergt das Botanische Museum Berlin-Dahlem viele Tausende. Da unersetzlich, werden die Typen zusammen mit dem Herbarmaterial in klimatisierten und katastrophensicheren Räumen unterirdisch gelagert und nicht ausgestellt. Aus Anlaß der 50-Jahr-Feier der Freien Universität Berlin wird von der international üblichen Praxis abgegangen und eine winzige Auswahl von Typen in der Sonderausstellung `Die grüne Schatzkammer der FU Berlin´ im Botanischen Museum Berlin-Dahlem gezeigt. Auch heute werden fortlaufend neue Pflanzen entdeckt, so wurde beispielsweise aus Afrika südlich der Sahara seit 1945 im statistischen Schnitt pro Tag eine Blütenpflanze neu beschrieben. Die Mannigfaltigkeit in den tropischen Gebieten der Erde ist noch größer und über die Welt der `niederen´ Pflanzen, also der Moose, der Pilze, der Flechten, der Algen sind in diesem Zusammenhang überhaupt nur Schätzungen möglich. Für die Pflanzen schwanken die Schätzungen über die Anzahl der Arten zwischen 2,5 und 15 Millionen. Beschrieben und benannt sind rund 400 000. Foto links: Rhodanthemum laouense Vogt, Holotypus, gesammelt von Ch. Oberprieler und R. Vogt im Jahre 1993 im Oued Laou, Rif (Marokko). Herbarium, BGBM. Gleichzeitig sterben allerdings jährlich sicher hunderte Arten aus, die überhaupt noch nie beschrieben worden sind. So gibt es auch in den Sammlungen des Botanischen Museums Berlin-Dahlem Pflanzen, die heute bereits ausgestorben sind und vor allem sehr viele Exemplare von Standorten, die heute überhaupt nicht mehr existieren, wo Wälder abgeholzt oder Autobahnen gebaut worden sind. Die Erkenntnis des grundlegenden Wertes der Artenvielfalt, ihrer Schutzwürdigkeit als Teil des natürlichen Erbes, für das wir Verantwortung tragen, ist nicht neu. Erhaltung der Biodiversität ist für den Biologen seit Generationen ein wichtiges Anliegen, aus wissenschaftlichen wie auch ethischen Gründen. Neu ist die Einsicht, daß die Artenvielfalt auch wirtschaftliche Bedeutung hat und daß sie, die heute so unmittelbar bedroht ist, Voraussetzung sein kann für das Überleben der Menschheit insgesamt. Wirksamer Schutz der Vielfalt unserer Lebenswelt, insbesondere der Pflanzen, die deren Grundlage bilden, setzt naturgemäß voraus, daß man sie kennt. Hinter den Pforten des Dahlemer Botanischen Museums befindet sich, von vielen unbemerkt, die größte botanisch-systematische Forschungsstätte Deutschlannds und eine der führenden der Welt. |