Die Nutztiere
So wie das Gebiet des "Fruchtbaren Halbmonds" mit der
weltweit größten Vielfalt großsamiger Wildgräser
gesegnet ist, besitzt Eurasien allgemein die größte
Vielfalt von großen pflanzen- oder allesfressende Säugetieren.
Unter 72 potentiellen Nutztierarten (gegenüber 51 in Afrika und
nur 24 in Amerika) fanden schon die Steinzeitmenschen gerade die vier,
welche ideale Eigenschaften hatten und bis heute, neben dem Hund,
unangefochten die weltweit wertvollsten Nutztiere sind.
Für ein wertvolles Nutztier sind folgende Eigenschaften
erforderlich:
- keine unbeherrschbare Aggressivität,
- Herdentiere mit strenger sozialer Ordnung und einem Instinkt, dem
Leittier zu folgen,
- als Fluchtreaktion bei Panik Zusammendrängen statt haltlosem
Auseinanderrennen,
- Bereitschaft, sich unkompliziert in Gefangenschaft
fortzupflanzen, keine Verteidigung von Territorien,
- unkomplizierte, effiziente Ernährung,
- schnelles Wachstum.
In Afrika fand selbst die moderne Viehzucht kein Tier, das diese
Anforderungen erfüllt, in Amerika nur das Lama. Im Vorderen
Orient wurden schon vor 10000 bis 8000 Jahren in mehreren benachbarten
Regionen die "großen Vier" zu Nutztieren gemacht. Sie
lieferten nicht nur Fleisch, sondern waren auch unschätzbare
Tragetiere bei der Ausbreitung der Ackerbaukulturen nach Griechenland
und in andere Regionen.
Das Schwein, Sus
scrofa domesticus:
Das Schwarzwild Eurasiens hat ein Sozialverhalten, das für
menschliche Zwecke unübertrefflich ist. Schweine haben ein großes
Anschlußbedürfnis und neigen von allein dazu, in
menschlicher Nähe zu bleiben, ohne Kontrolle zu benötigen.
In vielen Teilen der Welt ist zwischen wilden und Hausschweinen kaum
zu unterscheiden. Schweine harmonieren so gut mit dem Menschen, daß
mancherorts Menschenfrauen Ferkel an der Brust nähren. Dennoch
standen die menschlichen Züchter zunächst vor der
Herausforderung, die Aggressivität von Muttersauen und Keilern
wegzüchten.
Für die frühen Ackerbauern war unschätzbar, daß
man die Schweine zur Waldweidewirtschaft nur zwischen die Bäume
treiben muß, wo sie sich an der riesigen, sonst kaum nutzbaren
Ressource der Eicheln und Bucheckern mästen.
Die Fruchtbarkeit der Schweine ist daran angepaßt, daß in
der Wildnis die Hälfte der Ferkel die erstens sechs Monate nicht überlebt
- ein weiterer Faktor, der dem Menschen zum Vorteil gereicht.
Die Ziege, Capra
aegagrus hircus:
Ihre Wildform ist die Bezoarziege, eine nahe Verwandte des
Steinbocks, die aber Buschland statt felsigem Hochgebirge bevorzugt.
Wie das Schwein die Waldfrüchte zu nutzen vermag, so ernährt
sich die Ziege mit Vorliebe von sonst "nutzlosem" Laub. Ihre
Geselligkeit auch mit dem Menschen gleicht die Unmöglichkeit aus,
sie einzuhegen - Steinböcke sind dafür bekannt, vier Meter
hohe Zäune zu überwinden. In der Regel fällt es aber
selbst Wildziegen in Menschenobhut gar nicht ein, das vertraute Heim
zu verlassen.
Das Schaf, Ovis ammon
aries:
Die genügsamen Schafe weiden einfach alles - selbst diverse
giftige Pflanzen wie die Tollkirsche. Angenehm für Züchter
sind sie, weil das Kampfverhalten der Böcke zu nichts anderem als
dem unblutigen Kampf mit anderen Böcken taugt. Bei manchen
Wildschafen verhalten sich die jungen, rangniederen und besiegten Böcke
wie Weibchen und können so ohne Kämpfe im rudel verbleiben.
Die Gewinnung von Wolle trat erst spät auf, als durch die
Zuchtwahl die groben Grannenhaare des Schafsfells verschwanden und die
Flaumhaare stark zunahmen.
Das Rind, Bos
primigenius taurus:
Das Wildrind oder Auerochse, das seit dem 17. Jahrhundert
ausgestorben ist, wurde in Eurasien mindestens zweimal unabhängig
domestiziert, dazu noch fünf enge Verwandte. die erste
Domestizierung jedoch erfolgte vor 8000 Jahren in der südlichen Türkei.
Die immense Kraft und Wildheit der Stiere ließ die
Domestizierung erst zwei Jahrtausende nach Ziege, Schaf und Rind
Erfolg haben. Nach manchen Auffassungen begann sie mit dem Fang von
Wildrindern zu kultischen Zwecken. Von Wildrindern wie dem Gaur weiß
man, daß sie mit anderen Tierarten friedlich auskommen, sogar in
lockerer Gemeinschaft leben.
Die Fähigkeit des Rindes, große Lasten zu tragen und Pflüge
zu ziehen, gab der Ackerbauernkultur eine völlig neue Dimension.
Viel jünger ist die Zuchtwahl, durch die die Kuh das ganze Jahr
hindurch Milch liefert. Dadurch erst wurde die Milchproduktion
wichtiger als die Fleischproduktion.
Das Pferd, Equus
caballus domesticus:
Das edelste der Nutztiere zählt nicht zu den ursprünglichen
Vier; es wurde erst viel später, vor ca. 6000 Jahren in den
russischen Steppen domestiziert. In den alten Kulturen des Nahen
Ostens und östlichen Mittelmeers war es kostbarer
Herrschaftsbesitz; nach einem geflügelten Wort waren die
Pferde-Streitwagen die Panzer der Bronzezeit.
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