Vom Igel zur Kuchenform | Königliche Pracht | Some like it hot Ein ungewöhnliches Blatt
Das kreisrunde Schwimmblatt einer Victoria amazonica kann (am natürlichen Standort) einen Durchmesser von 1,5 bis 2,0 m erreichen und 2 kg schwer werden. Zum Vergleich: Ein Rotbuchen-Blatt hat dagegen eine Fläche von 22 cm² und wiegt kaum 1 g. Wie gelingt es einem so gewaltigen Blatt, den Wasserbewegungen und Spannungen, die ständig auf großen Wasserflächen wie denen des Amazonas auftreten, nicht zum Opfer zu fallen? Warum sinkt es nicht unter der Last der gewaltigen Regenmassen, wie sie täglich in den Tropen vorkommen? Blätter von Victoria cruziana besitzen gleich einer Kuchenform einen 610 cm hohen Rand. Diese Erscheinung ist einmalig im Pflanzenreich und verleiht dem Blatt Straffheit und Stabilität. Bei Victoria amazonica biegt sich der Rand kaum aufwärts. Die relativ dünne Blattspreite könnte leicht zerreißen, würde sie nicht zusätzlich durch ein bestacheltes und brettartiges Adernsystem versteift, das wie ein Netz die Unterseite des Blattes überzieht. Die Rippen des Netzes sind bis 6 cm hoch und 25 cm breit. Die vielen Stacheln zusammen mit der purpurroten Farbe der Blattunterseite sind eine hervorragende Schutzvorrichtung gegen Tierfraß. Die Tragfähigkeit des Blattes wird durch lufthaltige Kanäle, die sowohl den Blattstiel als auch die zahlreichen Rippen durchziehen, erhöht. Es wird berichtet, dass die Blätter bis zu 75 kg tragen.
Der Blattrand verhindert nicht nur, dass sich die Blätter übereinander schieben. Frei schwimmende Wasserpflanzen, wie die Wasserhyazinthe (Eichhornia) und der Wassersalat (Pistia), die reichlich am Wildstandort wachsen, können nicht über das Blatt wuchern. Das Übereinanderscheiben würde auch die Fläche für Photosynthese reduzieren. Zwei gegenüberliegende Einbuchttungen des Randes gewährleisten einen raschen Abfluß der Regenwassermengen. Aber es bleiben noch Wassertropfen zurück. Sie könnten bei der Äquatorsonne wie Linsen wirken und das darunter liegende Gewebe zerstören. Die Victoria als Seerosengewächs hat ihre Spaltöffnungen auf der Oberseite der Blätter. Ihre Funktionsfähigkeit und damit der Gasaustausch der Pflanze wäre durch die Tropfen ebenfalls verhindert. Auf der Blattspreite kann man mit bloßem Auge kleine Löcher erkennen, die gleich Nadelstichen das Parenchym durchbohren. Diese Perforationen oder Stomatoden dienen neben den randlichen Kerben ebenfalls der raschen Ableitung des Wassers. |